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Texte

In heimatlicher Fremde (Klaus Fußmann, 2007)

Wieland Schmied (Wieland Schmied im Katalog der "Galerie Noah" zur Ausstellung "Hermann Albert, Malerei 2000-2006", 2007)

HERMANN ALBERT, THE FORM AND DISCIPLINE OF HEROES (Michele Bonuomo, 1993)

Vollkommenheit, die Last der Schwermut (Hans Albert Peters, ca. 1993)

Giovanni Testori (Giovanni Testori im Katalog des "Studio d'Arte Cannaviello", Milano, 1991)

Haus, Pferd und Frau am Meer (Hermann Albert, ca. 1988)

SPIELREGELN – Tendenzen der Gegenwartskunst (DuMont Buchverlag Köln, Auszug S. 136-138; Stephan Schmidt-Wulffen, 1987)

Gespräch zwischen dem Maler Hermann Albert und dem Autor Klaus Thiele-Dohrmann (Klaus Thiele-Dohrmann; Januar, 1985)

Die Kraft der Bilder (Lucie Schauer, 1981)

wahr-nehmung, ganz auf mich bezogen (Klaus Thiele-Dohrmann, 1981)

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In heimatlicher Fremde (Klaus Fußmann, 2007 )

Der Maler Hermann Albert kann auf ein reiches Werk zurückblicken. Im Laufe der Zeit sind neben Zeichnungen und kleineren Bildern vorrangig große Formate entstanden. Viele davon gehen über die Maße von 200 x 250 cm noch hinaus. Als ob es ihm nichts ausgemacht hätte, so scheinbar leichthändig sind über die Jahre in kontinuierlicher Regelmäßigkeit die Gemälde eins nach dem anderen in haptischem Duktus und ausgewogener Komposition gemalt worden.

Welchen Fleiß, welche Arbeit und Zähigkeit, wie viel Zeit und Verzicht diese Bilder gekostet haben, kann eigentlich nur jemand ermessen, der selbst malt und sich außerdem selbst an solche Formate herangetraut hat. Es ist manchmal erstaunlich, über welche Kraft ein Mensch verfügt, wie in nie nachlassender Beharrlichkeit und täglicher Konzentration ein so großes und einmaliges Werk geschaffen wird. Der Maler ist jetzt kein junger Mann mehr, obwohl man ihm seine fast siebzig Jahre nicht ansieht. Alterslos, ungealtert ist er über die Jahre geblieben, selbst die ihn lange kennen, können keine Veränderung an ihm feststellen. Und stets ist er gut gekleidet: Amerikanische Anzüge, handgefertigte Schuhe, Maßhemden. Die stressige Arbeit als Künstler scheint ihm nichts anhaben zu können, diszipliniert malt er täglich sein Pensum. Seine Kraft ist ungebrochen.

Betrachtet man Hermann Alberts Bilder aus den sechziger und siebziger Jahren, offenbart sich etwas von dieser trotzigen Beharrlichkeit, aber auch viel von dem Zorn seiner frühen Jahre. Der Maler war hoffnungslos der prosperierenden Bundesrepublik ausgeliefert, das deutsche Wirtschaftswunder brauchte seine Kunst nicht, wollte sich nicht in ihr gespiegelt sehen, und so stand er ziemlich alleine da mit seiner so sehr am Menschen orientierten Gegenständlichkeit. Es war verpönt, gegenständlich zu malen, egal wie, von den Triumphen der heutigen Leipziger Schule, die viel den damaligen Realisten verdankt, konnte man nicht einmal träumen. Hermann Albert aber kann nicht opportun sein, hat nie etwas gemalt, was er nicht kannte, oder von dem er nur wenig Ahnung hatte. Er wusste immer, was er mit seiner Arbeit zeigen wollte, nur so konnte ein so gültiges Werk langsam sich fügen. Er malte nie informell, auch nicht abstrakt, er wollte etwas erzählen, narrative Bilder erstellen, (mit figürlichen Gruppen), Menschen mit einem Schicksal schildern, Personen, die Spuren und Narben haben. Und so sehen wir Frauen und Männer in Liebe und Hass verstrickt, schrillem Sex wie dumpfen Gefühlen ausgeliefert. Verloren in ihrem Übergewicht präsentieren sich Frauen in Unterwäsche, setzen das Gewicht ihres Körpers als Gravitation, als Sinnlichkeit ein. Männer dagegen sind Voyeure, immer lauernd, gewalttätig und suchend. Ihr Dasein ist ohne Erlösung.

Faszinierende Bilder entstanden vom Leben ohne Ausweg, von schummriger Liebe in deutscher Gemütlichkeit, von Paaren, die nicht zusammenpassten, Der Maler malt das Leben der Bundesbürger am Strand, wo dicke Männer und Frauen mit Sonnenbrillen den Ton angeben, laut lachend verklemmten Frohsinn verbreiten, sexuelle Freizügigkeit fordern und auch ausüben. Oder er malt einen niedersächsischen Bauern auf dem Felde, in seiner Joppe und seinem grünen Jägerhut, mit kleinen bösen Augen die Saat betrachtend; ganz und gar Herr auf seinem Land, zerbricht er mit seinen Händen einen Ast. Momentaufnahmen einer Jugend: Eine Gesellschaft prahlender Sonntagsausflügler; eine mollige Stripperin hinter einem Streifenvorhang; Männer und Frauen, die lärmend und voller Unruhe sind, gefährlich in ihrer Suche nach Liebe und Eros.

Mit 32 Jahren, 1971, erhielt der Künstler Hermann Albert den Preis der Villa Romana, womit ein schmales monatliches Salär und ein einjähriger Aufenthalt in Florenz, in eben dieser Villa Romana, verbunden waren. Das Leben des Hermann Albert sollte sich dadurch verändern, denn er konnte von Italien nicht mehr lassen. Was auch immer in Deutschland an Anerkennung, Erfolgen, Ehrungen, Katalogen, Ausstellungen - und sei es die Berufung zum Professor - seinen Ruhm mehrte, die alte Italiensehnsucht der Deutschen war stärker. Wenn es eben möglich war, reiste Familie Albert nach Italien, vornehmlich in die Toskana. Schließlich blieben sie ganz dort und kauften ein Haus. Der Maler baute sich ein Atelier, in dem er unter der Sonne Italiens malend die Nachmittage verbrachte. Das Leben im heiteren Italien, das Mittelmeer, die arkadische Landschaft sowie das winterlich milde und sommerlich heiße Klima haben auch seine Kunst verändert. Sein Farbauftrag wird noch opaker, seine Farben schillernder, das schwierige Türkis tritt auf: das Rosa, Magenta und Ultramarin. Die aggressiv geladene Konstellation zwischen Mann und Frau, welche die in Deutschland entstandenen Bilder so kennzeichnet, wird zu einer fast freundlichen Begegnung. Das Paar trifft sich hier in lauer Sommernacht vor einem kleinen Haus auf dem Lande, erleuchtet wird das Haus von einem gelben Lichtstrahl; die Frau steht schon im Licht, während der Mann sich zögernd im Dunkeln nähert.

In Italien malt er eigentlich nur noch Frauen. Der Maler, der grübelnd über das Mysterium der Frau fast den Verstand verlor und über das Rätsel "Weib" seine ganze Kunst entwickelte, malt im südlichen Arkadien nur noch Göttinnen. Gelassen und etwas schwerfällig agierend, einer Maillolschen Skulptur ähnlich, dominiert die Mutter, die Frau, die Geliebte das Bild. Ihr Körper ist von bronzenem Rosa, aber ihr Haar ist blond, rot-blond; ihre Augen schauen hellblau, ihr Gesicht könnte Sommersprossen haben: Wir sehen noch viel Deutsches an der lateinischen Venus. Doch, ein Maler hat hier sein Haus gefunden, nach Hause gefunden, so hat es den Anschein.

In diesem Hause fand Herrmann Albert nach den Jahren der Kämpfe wieder zum Stillleben zurück. Diese rein kontemplative Kunst, von ihm in jungen Jahren öfter ausgeübt, dann aber zugunsten der figürlichen Allegorie zurückgedrängt, ist in Italien wieder aus der Tiefe der Zeit zurückgekehrt. Das Stillleben korrespondiert jetzt mit der toskanischen Landschaft, nimmt von ihr die monumentale Vereinfachung auf. Alle Formen der Dinge werden hier bewusst auf den einfachsten Zustand gebracht. Von Ferne ein leiser Anklang an Sironi oder eher noch an Hermann Teuber, dessen trockene Malweise und reduzierte Zweidimensionalität von Albert aber weit rigoroser gehandhabt wird. Wir sehen Bilder, die wie ein Anfang wirken, ein Aufbruch in die Vereinfachung, Malerei von durchsonnter Klarheit. Aber trotz aller südlichen Gelassenheit ist da immer noch ein Rest vom nordischen "horror vacui" in seinen Kompositionen. Erst diese Angst vor der Leere, dieser Anflug von Unruhe, von Dynamik, macht es, dass uns seine Stillleben in ihrer lapidaren Einfachheit so faszinieren.

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Wieland Schmied (Wieland Schmied im Katalog der "Galerie Noah" zur Ausstellung "Hermann Albert, Malerei 2000-2006", 2007)

Die Arbeit von Hermann Albert lässt sich nicht in den "Mainstream" der zeitgenössischen Kunst einordnen. Albert ist anders als seine Altersgenossen und Weggefährten, er weiß das - und er hält sich abseits. Er tritt uns als Außenseiter gegenüber, aber er ist einer, dem Beachtung zu schenken sich lohnt. Denn was er macht, ist nicht bloß für "Insider" der Kunstszene interessant - gerade, weil es anders ist, wenn auch keinesfalls ohne Vorbilder.

Hermann Albert hat es schon früh nach Italien gezogen. Damit folgte er einer Neigung, die in seiner Anlage begründet war. Zugleich jedoch fand darin ein Grundzug seiner Kunst ihren äußeren Ausdruck. Jedenfalls bestimmte die Einwurzelung im mediterranen Raum seine weitere künstlerische Entwicklung. Die Malerei von Hermann Albert ist leichter vor dem Fond italienischer Traditionen verständlich, als dass sie sich in der deutschen Gegenwart und den hier wirkenden Tendenzen ansiedeln ließe - und damit dem Werk einiger Künstler der Transavanguardia vergleichbar wie Sandro Chia, Paladino oder Tatafiori.

Zu den Malern, die gerade von italienischer Seite als Vorbilder Hermann Alberts genannt wurden, gehören außerdem Carlo Carrà und Giorgio de Chirico. Gemeint ist damit wohl der "mittlere" Carrà der frühen Zwanziger Jahre (dessen "Pinie am Strand" Wilhelm Fraenger so mochte) und der de Chirico in seiner zweiten Pariser Zeit (1925-1929), der tief in die Mythologie eintauchte und die Bewunderung Jean Cocteaus fand (des Cocteau, der von den Surrealisten um Andre Breton ebenso attackiert wurde wie de Chirico selbst).

Wichtiger - und treffender - scheint mir in Bezug auf das Oeuvre Hermann Alberts die Nennung zweier anderer Namen: der des nachfuturistischen Mario Sironi mit seinem Hang zu dekorativer Monumentalität und der des Deutschitalieners Massimo Campigli mit seiner Vorliebe für alles Etruskische und Archaische.

Solche geistigen Verwandtschaften dürfen uns aber nicht den Blick verstellen für das Eigene, das die Kunst Alberts auszeichnet. Hermann Albert liebt die Puppenbühne.

Da treten dann seine Figuren auf: Gestalten aus einer längst vergangenen, paradiesischen Zeit, die uns aus der Kunstgeschichte vertraut vorkommen, mögen sie auch erfunden sein. Oder einzelne Objekte erscheinen auf einem Fensterbrett wie auf einer Bühne, und hinter ihnen öffnet sich der Ausblick auf andere Gegenstände.

Immer wieder sind es einfache Dinge, auf ihre Grundformen reduziert, Häuser und Schachteln, ein Glas und eine Frucht, ein Bergzug und ein paar Zypressen davor, ein Buch und verschiedene Werkzeuge. Das Vokabular der Bilder hat sich über die Jahre nur wenig verändert, auch wenn es behutsam erweitert wurde und zuletzt in großformatigen Arbeiten kulminiert, in der ein weiblicher Akt vor der nur durch eine offene Tür akzentuierten Hausfassade erscheint.

Dies muß von den Bildern Hermann Alberts gesagt werden: Sie strahlen eine eigenartige Poesie aus. Eine Poesie, die uns aufs Erste ganz fremd anmutet und an die wir uns nur langsam gewöhnen. Haben wir uns jedoch einmal auf sie eingelassen, dann nimmt sie den Betrachter vollständig gefangen - er tritt in eine Welt ein, an deren Realität er bis zuletzt kaum zu glauben vermag. Gleichzeitig mit der Einladung, einige Zeilen über Hermann Albert zu schreiben, wurde ich zu einer Vernissage ins Kunsthistorische Museum in Wien gebeten. Dort werden zur Zeit - unter dem Titel "Münzen und Poesie" - Münzen der griechischen, römischen, hellenistischen und byzantinischen Antike gezeigt, die Konstantinos Kavafis, den großen griechischen Dichter, zu vielen seiner Gedichte angeregt haben; Ereignisse und Personen, die Kavafis in seinen hintergründigen Versen beschworen hat, sind in den Köpfen lebendig, die uns die Münzen zeigen. In ihnen - in den Gedichten wie in den Münzen - wird eine Zeit lebendig, die lange vergangen ist und dennoch weiter wirkt und unser Dasein bestimmt.

Eine den Gedichten des Kavafis und den Münzbildern der Antike vergleichbare Poesie meine ich in der Malerei von Hermann Albert zu finden. Eine Poesie, die uns auf den Zauber eines anderen Zeitalters verweist, mag diese auch nur in den Werken der Kunst Realität gewonnen haben.

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HERMANN ALBERT, THE FORM AND DISCIPLINE OF HEROES (Michele Bonuomo, 1993)

To what world do the women of Hermann Albert belong? Women rendered immobile by the weighty earthiness of their bodies, fixed in a boundless universe revolving around their dilated pupils.

From what land come Albert's men, powerful builders of style who raise cities on rocks, add the tympanum to a temple and rearrange their women's hair with a harmonious gesture?

They come from a world and a place that art has always inhabited but which has become remote - and largely unknown - in this age in which we are obliged to live. For in our modern-day world style has been exchanged for a superficiality of manner, ethics have become confused with opportunist ends and art has been reduced to a small-minded, trivial game.

In this age which fears mystery, Albert is one of those rare individuals who has seized on only the solitary anguish and profoundest unease and recomposed them in a unity of style that holds no truck with caesura or censure, logical leaps or interruption. He has enclosed them in a hushed atmosphere where there is room neither for shouting nor shattering laughter. Thus the painter from the north has rediscovered his women and men - and all his forms - in a world of peoples imbued with style: the timeless world of the ancients. To them he has listened, and from them he has received the gift of sight «and even though they are gone and their time has passed, even though their offspring have fallen and the sun of the columns has fallen to illuminate new lands, while fields of asphodels alone flower in the ancient soil, yet they still call out from the depths, from pots, walls, and bronzes covered with shells that fishermen have wrested from the remains of plundering ships lying on the seabed»*.

The German artist is no longer guided by a yearning for the south - that malaise which in the Romantic age drove bands of light-hungry artists stricken with unspeakable ills to migrate towards the sun - but rather by the destiny of one who knows that art is a law, founded on form and discipline, «only for heroes, only for those who work the marble and cast the helmeted heads: «Art is more than nature, and the runner is less than life», or rather, every .lite wants more than life, it wants exact surroundings, style, abstraction, depth and spirit»*.

On these principles, Hermann Albert - the barbarian in love with antiquity - has built up a complex system of memory which is never confined to a reductive classification of forms, or still worse to a cynical stylistic eclecticism. His memory enfolds Giotto and Böcklin, Doric friezes and Etruscan terra-cotta, Carrà and the gods of Minos, Christian Schad and Picasso, but he does not use them as a linguistic repertory to be run through with a pillager's arrogance.

Memory is the first sign, the more immediately manifest mark of an ethical tension that transcends time.

Albert is inextricably bound up with the history of art and he lets himself be used by this without fearing exploitation, without falling into the trap of a manner whose every secret, every allusion may be unveiled. For the German artist the spirit of painting, style, is the only objective he has ever sought, and with the greatest discipline all of his work seeks to establish its eternal vitality.

At the end of a century and at the end of an immeasurable -millennium, Albert, with the heroism of a rogue male, sees himself as the last self-declared practitioner of an art that is not ashamed to bare its soul by speaking of itself. No longer is there a guilty conscience to be assuaged. the form and the colour - strong, vigorous, never tempted by facile and self-satisfied showiness - are the cornerstones of his search for transcendence, his wish for a world represented by style. His powerful women, his energetic men, his nature - objects devoid of gravity in a space to be redefined - are not organised in narrative situations, they do not speak of symbols or sociological contexts in which they are placed as passive figures. Instead, they become once more the subjects of a single transcendent context in which the spirit of painting no longer needs anything other than itself to sustain the present and usher in the future. «The sense of form will be the great transcendence of the new age, the fabric of the second era: the first was created by God. in his own image, the second is modelled by man on his own forms. the nihilist interregnum is over. the first age was dominated by causality, original sin, the sighs of evolution, psychoanalysis, resentment and reaction; the new age will be founded on plastic principles, on constructs within specific horizons. We might call it a transition from descendancy to ascendancy... It will be an age of the real spirit, not of the infertile spirit... A spirit that nowhere shies from nature, but rather looks it in the eyes, in its sphynx-like eyes, and perhaps for an instant even dreams of it, but then in man's case it strives for order. This spirit is immensely universal, productive and edifying... It is the spirit of that imperative vision of the world which was foreshadowed in many historical sites»*.

Hermann Albert's strong women and industrious men will continue to build an ordered world which will still be worth living.

(* Gottfried Benn, Lo smalto sui nulla, Adelphi, 1992.)

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Vollkommenheit, die Last der Schwermut (Hans Albert Peters, ca. 1993)

"Vor dem Einfachen bleibt ein Vorübergehender niemals stehen. Er glaubt, Kunst müsse etwas Kompliziertes und Unverständliches sein. Ihn hält nur an, was mit unlauteren Mitteln seine Neugier erregt. Gerade aber die Reinheit, die Klarheit, die Durchsichtigkeit des Handwerks wie des Gedankens, sind das Bewundernswerte ... und das Ewige am Werks Maillols, an dem sich nichts findet, was je die Neugier des Vorübergehenden anziehen könnte."

Mit diesen Worten umriss Auguste Rodin den eigentümlich neuen und zugleich merkwürdig rückwärtsgewandt erscheinenden bildhauerischen Ansatz des fast eine ganze Generation jüngeren Malers, kaum hatte dieser nach der Jahrhundertwende begonnen, der modernen, die Plastik des 19. Jahrhunderts revolutionierenden, in "Gruben und Höcker" aufgelösten Gestalt Rodins eine klar umrissene, aus dem Block heraus entwickelte und ihn in seiner geometrischen Ordnung betonende Form mit glatter Oberfläche entgegen zu setzen. Dabei ist unübersehbar, das Aristide Maillol - wie Paul Cézanne in der Malerei der Skulptur den Weg zur reinen Plastik bereitete, indem er sein bildnerisches Interesse nachdrücklich auf Maß, Flächen- und Winkelverhältnisse, auf Körper und Fläche, auf Volumen und Raum, auf Masse und Gewicht, auf den - auch optischen - Ausgleich von Tragen und Lasten richtete und nicht loslöste vom, sondern beispielhaft anschaulich machte am weiblichen Körper, der ein Leben lang fast ausschließlich sein "Prüfstein des Bildhauers" war.

Blickt man auf die phrasenlose Malerei von Hermann Albert, in der die Tektonik des Organischen herausgearbeitet wird, so daß ihre Körperarchtitekturen die Solidität von allen Moden überdauernden Monumenten gewinnen, dann mag man - wie der Schreiber dieses - die Charakterisierung Maillols durch Rodin auch für eine Beschreibungsmöglichkeit der unzeitgemäß erscheinenden Kunst von Hermann Albert halten, beleuchtet sie doch eine Seite seines malerischen und zeichnerischen Bildens. Denn in einer blockhaft geschlossenen Form, Leitbild und Ziel seiner Malerei, radikalisiert Albert, sich auf die Grundlagen der Malerei als Kunst besinnend, rücksichts- und kompromisslos seine Existenzbilder zu "paradigmatischen Strukturen von Existenz" - wie Max Imdahl die konkreten Stahlarbeiten Richard Serras beschrieb. Alberts Ikonen markieren in sich selbst den Abstand zwischen der reinen Idee und ihrer malerischen Verwirklichung, machen das Problem künstlerischer Darstellung von Vorstellung und Erfahrung, das in der Kunsttheorie seit dem 14. Jahrhundert diskutiert wird und um 1600 durch den römischen Maler Federico Zuccari auf das Begriffspaar disegno interne und disegno esterno - die innere Vorstellung(skraft) und ihre Verwirklichung im Äußeren des Werks - gebracht wurde, zum - wenn ich das nicht ganz falsch sehe - entscheidenden Thema seiner Bilder, die nicht nur für seine Schüler Vorbildcharakter gewinnen. Wer also Hermann Alberts in den vergangenen neun Jahren entstandene Gemälde und Zeichnungen für realistische Wiedergaben von wirklichen oder vorgestellten Gestalten und Räumen, für illustrative Schilderungen von beliebigen, austauschbaren, zwischenpersönlichen Erfahrungen hält, den trügt der Schein. Gegen den möglichen, aber falschen (weil nicht gewollten) Anschein meiner Worte behaupte ich nicht, daß es das Ziel des Malers sei, aus seinen Bildern vorkünstlerischen Sinn, außerkünstlerische, das heißt über die reine Kunst hinausweisende und wirkende Sinnlichkeit, menschliche Angst- oder Glücksgefühle, die wechselvollen Eindrücke der Tages- und Jahreszeiten, der Wärme, des Lichtes, der Atmosphäre und der Lebensräume in Norddeutschland und in Italien zu verbannen; er will ihnen, den Dingen und ihren Erfahrungen, in seinen Bildern wieder Maß und Ordnung geben. Thema, Bildgegenstand, Motiv sind ihm nicht gleichgültig, sondern Beweggrund für eine an zeitloser Klassik orientierte Malerei, die Größe und Ruhe, Arbeit und Muße, Aktion, Reaktion und Kontemplation im Farbpigment substantiell, im Bildmuster ideell zu lapidarer Stille spannungsvoll verbindet.

In Hermann Alberts "Ordnung der Dinge" ist: der Baum männlich, der - sich in die Erde bohrend und in den Himmel greifend - Frucht trägt; der Berg das Symbol des Riesen, das höchste Ding, das ins Universum ragt, eine Metapher des Maßlosen, der menschlichen Sehnsucht, über den Dingen zu stehen, den Göttern gleich zu sein; das Pferd wild und edel, plastischer und vollkommen, dem Eroberer, dem Herrscher, dem Fürsten eigen; das Boot Gefährt der Abenteurer, Entdecker, Helden, Sinnbild für Aufbruch und Heimkehr; das Haus als Ruine Metapher für Vergänglichkeit, wesentlich aber Schutzraum, Burg und Festung, erfundene, gestaltete, maßvolle, plastische Form im maßlosen, unermesslichen Raum, Ort des Heimkehrers, Ort der Frau; die Frau der menschliche Mensch, Schönheit und Muse, Eros und Quelle der Phantasie, ohne Angst verkörpert sie Ausdauer, Geduld und Gleichmut; der Weibliche Akt, scheinbar zum Centerfold als Verkaufsargument und zum Aufmerksamkeitswert in der Produktwerbung verkommen, eine Metapher der Sinnlichkeit, kontrapunktisch zur eigenen männlichen Existenz, Symbol entrückter, wesentlich und dauerhaft nur in der Kunst überbrückbarer Ferne, das Bild der Bewunderung weiblicher Schönheit, in dem ihre Vitalität und ihr Wesen maßvoll, in ihrem vollen Maß erfasst werden, der Ausdruck einer Sehnsucht nach dem Ideal, dem Unerreichbaren - wie Jürgen Schilling formulierte. Recht hat der Maler, wenn er gegen Max Liebermann sagt: "Eine gut gemalte Madonna ist besser als ein gut gemalter Misthaufen". Der Titel der amerikanischen Ausstellung "Refigured Painting: The German Image 1960 - 1988" (Toledo/Ohio und New York 1988/89), in der Hermann Alberts Werk wie ein Solitär erstrahlte, bewahrt den Doppelsinn des Wortes figurativ, der im Deutschen verloren zu gehen droht, im Grunde aber die tiefste, stärkste, weitreichendste Antriebskraft des bildnerischen Denkens des Künstlers anzeigt: Malerei als Untersuchung und Darstellung der inhaltlichen und formalen Aspekte einer Malerei, die in der Besinnung, in der Rückbesinnung auf Gegenständliches das anschauliche Nachdenken über Malerei in ihrer umfassenden Komplexität erfahrbar macht.

Kein Wunder, daß Hermann Alberts petrifizierte, mit der Metaphorik des Steins spielende Malerei ein Stein des Anstoßes, auch zum Nachdenken über die Malerei und ihre Möglichkeiten heute ist. Stein als Material und Metapher für Skulptur hat eine historische Dimension, die ihm, dem Kenner italienischer Kunst, zweifellos Perspektive - das heißt nicht nur Einblick, Durchblick, sondern auch inhaltliche Tiefe gibt, selbst wenn sie nur sein Unterbewußtsein strukturierte. Der Weltbürger in der niedersächsischen und toskanischen Provinz, seit langem bei Giotto, Masaccio, Piero della Francesca, Carlo Carrà und den Meistern der Pittura Metafisica "zu Hause" und gleich Friedrich Overbeck zwischen "Germania und Italia" wandelnd und vermittelnd, "weiß", daß an der Bruchstelle zwischen Mittelalter und Renaissance, "der Zeit der Entdeckung der Welt und des Menschen" (Jacob Burckhardt), in der Malerei die Erscheinung des Besonderen, des Göttlichen, des Heiligen, des Numinosen nur durch eine Steigerung des Realitätsgrades dieser Erscheinung erfaßt und dargestellt werden konnte. So erscheint auf den Altarbildern Giovanni Bellinis, etwa in der Sacra Conversazione aus San Giobbe (Venedig, Akademie), die Muttergottes den mit dem andächtigen Betrachter korrespondierenden Heiligen, wahrscheinlich in der Gestalt von Mitgliedern der Stifterfamilie, als ein Skulptur, als ein steinernes, hoch aufgestelltes Gnadenbild mit der beabsichtigten Wirkung des "lebenden" Bildwerks. Denn eine Vision war, im Bilde jener Zeit, nur dadurch darstellbar, daß die Erscheinung gegenüber den lebensvollen, "sprechenden" Heiligen scheinbar um einen Realitätsgrad herabgestuft, zum Bildwerk in Stein verfestigt, in Wahrheit aber nach dem Verständnis der Zeitgenossen durch Kunst gesteigert, um eine Stufe in die gewußte Überwirklichkeit einer gemalten Skulptur erhöht wurde. Vor Leonardos Paragone, in dem zum ersten Mal die Malerei der Skulptur als Kunst überlegen dargestellt wird, galten die Skulptur - weil dreidimensional wirklicher und aus wertvollerem Material (Gold, Bronze, Stein) - und der Bildhauer als höherwertig, wurde der Skulptur oder dem als Skulptur Dargestellten ein höherer künstlerischer (und damit wirklicherer) Rang zugemessen als der Malerei, die als eine Kunst der Fläche vortäuscht statt zu sein, eher als billiger illusionistischer Ersatz für Skulptur empfunden wurde.

In der Annäherung der Malerei an Skulptur und Relief durch die klare, überpointierte, wie mit dem Eisen gerissene Umrißbildung, die Körperarchitektur, die Steinfarbe, den Kastenraum ohne atmosphärisches Sfumato den gemalten Kastenrahmen, die prismatischen Bildhintergründe ähnlich spätantiker und mittelalterlicher Kosmatenarbeit, mit denen Hermann Albert seine Gemälde und Zeichnungen von aller Zufälligkeit und Gefälligkeit reinigt, transfiguriert der Künstler die Malerei aus der Konsumsphäre und dem Konsumterror des Kunstmarkts auf einer höheren Ebene der Anschauung und Wertstellung zu sich selbst. Das ist vielleicht in Deutschland das Anstößige der Kunst von Hermann Albert, in Italien offensichtlich ihre Auszeichnung. Dabei öffnet sich seine Malerei auch für die etruskische und griechische Skulptur, die nun in die Malerei des Meisters von Ribbesbüttel und Ronzano als Batterie plastischer Energie aufgenommen wird und so in ihr überlebt, zu neuem Leben und neuer Wirkung gebracht wird auch durch die lichtvolle sintesi di forma colore, die Roberto Longhi als die große Leistung von Piero della Francesca beschreibt. Vielleicht darf man - wie Harry Graf Kessler für Maillol - auch für Hermann Albert sagen, daß er der Kunst der Griechen (und Etrusker) näher steht als gedacht. Keineswegs von der griechischen abgeleitet, ist Alberts Kunst, aus der Erde gewachsen, die echteste und vielleicht einzige "Heimatkunst", die es heute gibt, mit einer an Überzüchtung grenzenden artistischen Verfeinerung, die in hohem Maße Aufmerksamkeit fordert und verdient. "Jedes seiner Werke" - könnte man mit Andre Gides Beschreibung der "Méditerranée" von 1905 fortfahren - "bewahrt etwas vom Gewicht des Elements.. , es hat eine wunderbare Schwere, Masse, Lasten des Kopfs auf dem Arm, das eindrucksvoll Massive der Schulter". Denn blickt man auf die in diesem Katalog abgebildeten Gemälde und Zeichnungen, vor allem im Original, dann lesen sich diese wie eine malerische Apotheose der Skulptur.

Die stille Harmonie der besonnten "Steine" von Hermann Albert gibt dem Betrachter eine Freiheit, die ihn vielleicht überfordert. Mutet uns - fragte Theodor Hetzer angesichts der großartigen Gemälde von Giovanni Bellini - eine Vollkommenheit, die aus der Schwermut kommt, nicht zuviel zu? Die heute im Sinne von "unversehrt" und "heil" negativ verstandene Ganzheitlichkeit der Bilder von Hermann Albert, die - in seinem Verständnis - "ohne Schock auskommen, ohne Bruch, also Bilder (sind), auf denen der Mensch ... nicht an irgendeiner Stelle lädiert sein soll", läßt mich diese Frage auch bei Albert stellen. Seine Gemälde und Zeichnungen haben es deshalb bei uns so schwer oder wir es mit ihnen nicht leicht, weil unser Harmoniebedürfnis allgemein so gut wie nie erfüllt wird, wir Verdacht schöpfen, wenn es wirklich erfüllt wird, uns vom Vollkommenen abwenden, es verleugnen und bestreiten, auch weil uns diese Tiefe zu tief ist, wir uns in ihr nicht verlieren wollen.

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Giovanni Testori im Katalog des "Studio d'Arte Cannaviello", Milano, 1991

(Übersetzung aus dem Italienischen: Bettina Hesse)

Die glühende und gleichzeitig feierliche Ruhe, sowie die Spannung, mit der Hermann Albert die Gipfel der zeitgenössischen Kunst und des gegenwärtigen Imaginären erobert, erhalten durch diese knappe und dennoch dichte Ausstellung (noch dichter wäre es kaum möglich) die Klarheit eines endgültigen Beweises: es ist ein gleichzeitig menschlicher wie symbolischer Triumph. Tatsächlich besteht zwischen Knappheit und Dichte nicht der geringste Unterschied; wenn überhaupt besteht die Möglichkeit, daß die Letztere die Erste bis zum Enormen ausweitet.

Und genau das ist der Fall bei diesen fünf großen Leinwänden Alberts und den dazugehörigen Zeichnungen; ausgefeilte und gleichzeitig trockene Zeichnungen, welche seinerzeit nur der große Léger auszuführen wußte; groß durch seinen stumpfen und dennoch aufrührerischen Frieden, und zwar aufrührerischer, als man zu glauben geneigt ist. Die Wände, an denen sie hängen, scheinen sich die fünf Gemälde sozusagen einzuverleiben, mit ihrem enormen Gewicht und ihrer plastischen Statur; so als ob diese Bilder geradezu für sie erdacht worden wären; als ob sie auf ihren Oberflächen ihren Umfang erhalten hätten und dort nach und nach errichtet worden wären.

Errichten ist für Albert das Hauptverb, das Verb, mit dem er nicht nur die Flammen des geschrienen Ausdrucks löscht, sondern auch die Möglichkeit schafft, die Gegenüberstellung mit dem zu Bestehen und zu Gewinnen, was die "Bewegungen" gezeigt haben und noch weiter zeigen, die inzwischen zu keinem Bruch oder Skandal mehr fähig sind, sondern sich nur noch auf ziemlich plumpe Weise darum kümmern, "dem Fürsten zu gefallen" ("piacere al Principe"), Ein Fürst, dem sich Albert in keiner Weise unterzuordnen gedenkt. Albert beabsichtigt, wenn überhaupt, dem "Prinzip zugefallen" ("piacere al Principio"*).

Allein, bzw. ganz allein oder nur von der Treue einiger junger Wegbegleiter gefolgt - und auch das nicht immer - gibt Albert uns zu verstehen, daß er mit seiner Malerei ganz vorsichtig das rettbare am bestehenden rettet, oder vielmehr biblisch am Gesamten der Schöpfung. Nun enthüllt sich dieses Rettbare, das mager, verletzt, beleidigt und mitgenommen zu sein scheint, in seinen Händen nicht so sehr als Neu-Renaissance (wie fälschlicherweise geschrieben worden ist), sondern vollständig ursprünglich. Mächtig, fast zylinderartig und säulenförmig erscheint jenes sozusagen in dramatischer Gesundheit. Albert setzt uns davon in Kenntnis, daß das Rettbare nicht unwiederbringlich verkommen ist. Vielleicht verleitet nur eine gewisse, zu leicht verzweifelnde Sichtweise seit langem zu dem Gedanken, daß die Realität, nein, das Lebendige des Realen ausschließlich oder wenigstens direkter wahrnehmbar sei, indem man die Wunden und Narben offenlegt; indem man mehr oder weniger sadistisch den Eiter schlürft, um ihn dann zu feiern, als handle es sich um Champagner. Eins sei sofort klargestellt: daß sich jener Eiter bloß nicht in Wirklichkeit als Limonade, Coca-Cola oder was auch immer für ein süßliches Getränk herausstellt! Im Übrigen führt die dauernde- Wiederholung der eitrigen Vorliebe, mit Ausnahme einiger weniger Fälle tragischen Fassungsvermögens außer zu einer Abschweifung von der Wahrheit zu einer Wahrheitsverminderung. Aber wenn der Gegenstand, oder vielmehr das Subjekt der Malerei und der Kunst im Allgemeinen nun doch nicht so krank und pervers wäre? Wenn jedenfalls Perversion und Krankheit es nicht derartig konditionierten. Die Frage ist nicht nur möglich, sondern erscheint heutzutage, außer legitim zu sein, als bitter notwendig. Wenn uns doch ein Meister wie Albert von Jahr zu Jahr, von Ausstellung zu Ausstellung in Erinnerung bringt, daß das Errichten nicht nur mit unbegrenzten Abwandlungen und Bereicherungen weitergeführt werden kann, sondern sich immer einfacher, immer wochentäglicher und gleichzeitig immer gehobener und sublimer, immer behutsamer und zarter gestalten kann, und gleichzeitig immer stärker und allumfassender. Wenn er uns daran erinnert, daß das Klassische nicht einem, dem Realen aufgesetzten, ideologischen Voluntarismus entspringt, sondern da ist, wirklich da, in den Knochen, in den Muskeln und in der Seele eben dieses Realen? Und daß dieses, das Reale nur einen Akt jener stolzen Unterwürfigkeit verlangt, die darin besteht, der zentralen und fatalen Unbeweglichkeit dessen, was immer mehr zu mutieren scheint, Glauben zu schenken (und auch Vertrauen)?

Es handelt sich nicht darum, die Bewegung anzuhalten. Es geht darum, ihren Sinn aufzuspüren, der anschließend ihr ergänzendes Schicksal darstellt; und sobald diese Geste einmal ausgeführt ist, sie zu leiten und ihr in diesem Sinne zu helfen. Nicht von oben herab, sondern vielmehr von innen heraus.

Die nötige Spannung dem Notwendigen gegenüber ist extrem; ebenso die Moralität (und die Technik). Und genau von einer derartigen Spannung und Moralität leben diese jüngsten Werke Alberts. Sie bauen sich im Inneren auf und errichten sich allmählich mit demselben Vermächtnis; so daß diese im Hinblick auf die Vorangegangenen, bei denen bereits alles zur höchsten Klarheit und größten Kraft geführt zu sein schien, um eine weitere und endgültige Geste bereichert erscheinen: es handelt sich um eine Geste von ganz klarer Entblößung und Armut. Um das zu erreichen, hat sich Albert den Figuren und Dingen noch mehr angenähert. Fast scheint es, als ob der große Meister nicht zu erlauben beabsichtige, daß Figuren und Dinge von der Versuchung wiederaufblühender Ideologismen und neu-klassischer Ästhetizismen berührt werden könnten. So hat Albert gelassen aber unermüdlich die Figuren und Dinge in Innenräume verlegt, irgendwelche Innenräume; also immer gleichbleibende Innenräume. Die Himmel sind verschwunden. Die Himmel sind nun die Mauern. Und die Mauen sind diejenigen, an denen die Gemälde jedesmal aufgehängt werden. Mauerhaftigkeit über Mauerhaftigkeit. Die Malerei, obschon sie das nicht ist, ist zu dem geworden, was am Ehesten dem Fresko ähnelt, dem, was sich das Fresko größtenteils einverleibt, kurz gesagt, was das Fresko verkörpert und neuentstehen läßt. Eine "andere" Fülle, eine "weitergehende" Fülle; ein so tiefes und auf harmonische Weise schreckliches Dröhnen, daß man es mit dem Schweigen und vielleicht mit dem ersten und letzten Frieden gleichsetzen kann. Derartiges Dröhnen ist der ständige und unvergessliche Ton dieses großen Bienenstocks der geretteten Schöpfung, befreit, weil sie Tag für Tag mit heroischer Geduld umarmt und geliebt wird.

(* Wortspiel mit "Principe" - Fürst - und "Principio" - Prinzip A.d.Ü.)

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Haus, Pferd und Frau am Meer (Hermann Albert, ca. 1988)

Vor dem Hintergrund einer ausgetrockneten und verdünnten, zur Beliebigkeit und Inhaltsleere verkommenen akademischen Nach-Avantgarde ist es notwendig, die Malerei auf einen neuen Untergrund zu stellen, d. h. im gegenwärtigen Augenblick - zurück zur Kreatur und Natur, d. h. auch - in einer maßlosen Welt der Technik und der Wissenschaft, wieder das Maß und die Ordnung der Dinge einzuführen.

Der Maler, der nach Cézanne die Augen verschloß und Geometriker, Wissenschaftler, Denker, Grübler, Bastler, Verformer, Psychologe, Erfinder, Aufklärer wurde, muß wieder die Augen öffnen und sehen, fühlen, greifen, begreifen, ahnen, glauben. Er muß wieder Visionär werden.

Der Künstler ist zeitlos. Er ist in seiner Zeit nicht zu begreifen und nicht mit ihr zu entschuldigen. Im Künstler ist nicht Zeit, sondern Ewigkeit. Er hat die ganze Welt in sich. Er kann nichts wirklich Neues, nie Dagewesenes erfinden. Er hat es mit den gleichen, immerwährenden Dingen zu tun.

Die Ordnung der Dinge

Der Berg ist das Symbol des Riesen.
Er ist die noch begreifbare Form, das Monument im unendlichen Raum.
Er ist die Grenze zwischen den Kulturen.
Die Erklimmung seines Gipfels entspricht der menschlichen Sehnsucht, über den Dingen zu stehen, den Göttern gleich zu sein.
Er ist die Metapher des Maßlosen.
Er ist das Gegenteil des Meeres.
Er ragt in den Himmel, in's Universum.
Er ist das höchste Ding.

Das Meer, der Fluß, der Regen, die Quelle, die Tränen - Wasser ist Symbol für Leben.
Es ist konturlos.
Es umschließt Land oder wird von Land umschlossen, in Form gebracht, begrenzt.
Es ist grenzenlos.
Es begrenzt.
Es ist das Gegenteil des Berges.
Es ist die längste Linie - der Horizont.
Es verdeckt die tiefsten Tiefen, die untere Welt, die absolute Lichtlosigkeit, die Unterwelt, das immerwährende Dunkel.

Das Boot ist die Urform des Schiffes.
Es ist archaisch.
Es ist Gefährt für Argonauten, Abenteurer, Entdecker, sagenhafte Helden und Fischer.
Es ist Sinnbild für Aufbruch und Heimkehr.

Der Baum ist männlich.
Er bohrt sich in die Erde und greift in den Himmel.
Er schützt vor dem gnadenlosen Licht und der Hitze der Sonne.
Er trägt die Frucht.

Das Licht ist das Symbol des Bewußtseins und Sinnbild für Erkenntnis.
Es ist nicht greifbar und trotzdem dinglich.
Es gibt den Dingen Kontur und Plastizität.

Das Pferd ist domestiziert.
Es ist versklavt.
Es gehört zum Krieger, zum Eroberer, zum Herrscher, zum Fürsten.
Es ist nervös mit Augen des Irrsinns. Gleichzeitig ist es edel und wild, vollkommen und plastisch
Die nicht domestizierten Tiere sind die Symbole der Freiheit, der Unbeugsamkeit.
Sie entsprechen dem edlen Wilden.

Das Haus ist maßvolle, plastische Form im maßlosen, unermeßlichen Raum.
Es ist Kunstwerk und Behausung.
Es ist Burg und Festung.
Es bietet Schutz und demonstriert Macht, Würde und Erhabenheit.
Es ist Schloß, Kirche, Kloster.
Es ist erfundene, gemachte, gestaltete Form - Kultur. Es ist überdachter Schutzraum für Haustier und Mensch - Zentrum des menschlichen Lebens - Ort der Frau - Ort des Kindes - Ort des Mannes - Ort der Familie - Ort der Geburt, des Todes, der Arbeit, der Begegnung - Ort der Musen.
Es ist die Sehnsucht des Heimatlosen und des Fremden.
Es ist Heimat - Ort des Heimkehrers.
Die Ruine
ist Metapher für Vergänglichkeit.

Die Taube ist die Sehnsucht der Kriechenden.
Sie ist die Überbringerin der Liebesbotschaft und Gleichnis der Liebenden.
Sie ist Heiliger Geist.Sie ist Symbol für Freiheit und Frieden, aber auch für Unerreichbares - der Spatz in der Hand/die Taube auf dem Dach.
Sie ist Opfer des Falken.

Die Echse ist prähistorisch.
Sie gilt als Überlebende durch die Zeiten.
Sie ist zeitlos wie der Stein.
Sie .ist die Verkleinerung des Drachens, des Widersachers, des Unüberwindbaren, des Hüters der Unterwelt, des Höhlenbewohners - auch Feind des tapferen, moralischen Helden.

Der menschliche Mensch ist die Frau.
Sie spricht mit den Tieren und den Pflanzen. In ihr ist Maß und Ordnung.
Sie verkörpert Geduld, Gleichmut und Ausdauer.
Sie ist Symbol, Schönheit und Muse.
Sie ist Eros und Quelle der Phantasie.
Sie ist statisch und Hüterin der Erde, der Pflanzen und der Tiere.
Sie ist ohne Angst.
Die fraulichste Frau ist die Gute Mutter.

Der Falter ist das Symbol der Vergänglichkeit, der Verwandlung, der Widergeburt.
Er ist die Schwerelosigkeit, die Leichtigkeit. Er ist das Gegenteil der Schwere, des Massiven, des Erdhaften.
Er gehört zur Blume und zur Blüte.
Er ist vielfarbig und gehört zum Licht und zum Mittag.
Er ist grau und farblos und gehört zum Abend und zur Nacht. Er ist Nachtschwärmer.

Der Mond
ist die Stille.
Der Hund
bellt in der Nacht.

Ich male Formen, Volumen, Flächen, Linien, Geräusche, Schwere, Wärme, Stille, Licht, Schatten, Helligkeit, Nacht, Hitze.
Ich male den Morgen, den Abend, den Mittag, den Frühling, den Sommer, den Herbst, den Winter.
Ich male Atmosphäre und Raum.

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SPIELREGELN – Tendenzen der Gegenwartskunst (DuMont Buchverlag Köln, Auszug S. 136-138; Stephan Schmidt-Wulffen, 1987)

… Seit Beginn der achtziger Jahre bahnt sich ein Umschwung in Alberts Malerei an. Vorher pflegte er einen kritischen Realismus, dessen metaphorische Sachlichkeit die Konsumgesellschaft als leere Pose entlarvte. Über die Ritualisierung der Erotik in szenischer Verschlüsselung wurden seine Malereien immer statischer, immer ausgefeilter. Sie gerieten ins Überzeitliche und Überindividuelle, was Albert noch durch die Thematik (Die Heimkehr, 1984) und eine freskoartige Technik unterstützte.

Mittlerweile ist der Künstler bei einem allegorischen Klassizismus angekommen, bei dem Nackte in steifer Pose am Strande lagern, ein Hirte in klassischer Landschaft dem Flug einer Schwalbe nachsinniert oder ein schwergewichtiger Schimmel um eine klassische Ruine trabt.

Der Brückenschlag zur Vergangenheit erweist sich als kompliziertes Unternehmen, das allerdings repräsentativ ist für viele Künstler.

Die klassizistische Attitüde formuliert zunächst den Protest gegen die Mittelmäßigkeit und einen scheinbar zur Bastelei verkommenen Begriff von Progressivität und schließt damit unmittelbar an die schon erwähnte Änderung im Qualitätsbewußtsein an. Der hohe Ton altmeisterlicher Peinture wird als Zelebrieren einer »Ordnung der Reinheit« (Testori) gegen den Werteverlust gesetzt. Wenn Albert seine Hymnen auf Heroen anstimmt, dann schwingt in solcher Musik Wertkonservatismus mit. Die Betonung der tradierten Norm, der Handwerklichkeit plädiert für die Kunst als ein ›moralisches Gewissen‹. Das nährt eine sonst verschwundene Form von Praxis, die die Integrität des Individuums respektiert. Der mythologische Unterton soll einen Humanismus bewahren helfen, der sich auch im Umgang mit Realem beweist. Statt aus Gewohnheit übergangen oder zum Instrument degradiert zu werden, erhält der Gegenstand seine orakelhafte Fremdheit zurück, mit der er Aufmerksamkeit fordert. So wird die Malerei »sich ihrer ursprünglichen Würde und ihrer ursprünglichen Essenz als Schöpfungsakt so sehr bewußt, daß sie die Kraft der Bildhauerei annimmt (die Kraft, aber auch die Tempi, die Gewichte, die Farben und die Räumlichkeiten)«. Ziel ist dabei, sich aus der »Zersplitterung der Zeitgeschichte« (Testori) herauszuhalten und zu einem zeitlosen ›Zentrum des Gleichgewichts‹ zurückzufinden.

Die kritische Haltung, die immer eingeklagt wird, kann offenbar nicht helfen: »Und ich befürchte jetzt, daß eine Gefahr möglicherweise potenziert wird, wenn man sie ständig beschwört. Natürlich wäre es naiv, jetzt ein heiles Weltbild entwerfen zu wollen. Aber ich meine, daß sich die Welt, auch die der Kunst und der Literatur, von ständigen Destruktions-Beschwörungen einmal wieder erholen muß. Ich entdecke da Zusammenhänge: Wenn der Künstler in seinem Bild, fast manisch, an die Grenzen des Vorstellbaren und Möglichen geht, dann tun das möglicherweise auch alle anderen um uns herum.«

Albert wendet sich damit implizit gegen den ästhetischen Mehrwert, den kritische Kunst aus ihrer Arbeit schlägt. Das Übel wird bezeichnet, abgestempelt und gleichzeitig doch als ästhetischer Sachverhalt gepflegt. Das nährt bei Albert den Verdacht, das Aufzeigen des Übels hinge mit seiner Ursache unterschwellig zusammen. Er wählt einen indirekten Weg, an die gesellschaftlichen Hypotheken zu erinnern: Das Kritische wird im Kontrast aus dem Bild ausgesperrt und so dennoch präsent gehalten. »... wenn er diese Seite dort, an den Konturen seiner Bilder zurückhält und alles tut, auf daß sie die erhabenen und feierlichen Oberflächen nicht verletzen, so kündet uns dies, daß Rettung noch möglich ist, daß der Mensch und die Wirklichkeit noch der Formen ihrer Vergangenheit und ihrer Strukturen würdig sind ...« …

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Gespräch zwischen dem Maler Hermann Albert
und dem Autor Klaus Thiele-Dohrmann (Januar, 1985)

TD: Stille Menschen in idealer Landschaft - das wirkt heute wie eine Provokation. Welche Erfahrungen haben zu diesen Bildern geführt?
A: Seit einiger Zeit habe ich immer stärker den Wunsch, jetzt Bilder zu malen, die ohne Schock auskommen, ohne Bruch, also Bilder, auf denen der Mensch - da ich ja figürlich male - nicht an irgendeiner Stelle lädiert sein soll. Ich habe es mir jetzt eigentlich zur Aufgabe gemacht, eine Art Ganzheitlichkeit in meinen Bildern herzustellen.
TD: "Ganzheitlich" im Sinne von "unversehrt", "heil", oder in der psychologischen Bedeutung, daß das Ganze andere Eigenschaften aufweist als seine einzelnen Komponenten, daß es also mehr ist als die Summe seiner Teile?
A: Beides. Ich verstehe, als Maler, unter Ganzheitlichkeit, daß das Bild nichtmehr ein Ausschnitt der Wirklichkeit ist, die man unter einem ganz bestimmten Aspekt sieht - geprägt durch das, was heute alle bewegt, vielleicht sogar geprägt durch Angst - sondern es soll alles draußen bleiben, was in diesem Jahrhundert schon Thema der Malerei gewesen ist - wenn der Mensch vorkam, dann fast immer als Krüppel oder sonstwie beschädigt. Auch ich selber habe ihn zumindest ironisiert. Ich will nun aber nichtmehr diese Figurationen, sondern ich will Menschen. Ich will nicht mehr meine Metaphern für einen bestimmten sozialen oder philosophischen oder sonstigen Zustand, in dem wir uns, unserer Ansicht nach, befinden, sondern ich will, soweit das überhauptvorstellbar ist, ein ganzheitliches Bild vom Menschen darstellen.
TD: Ein ganzheitliches Bild vom Menschen in einer Ideallandschaft - ist das eine zweckoptimistische Gegenbewegung zur allgemein geäußerten Hoffnungslosigkeit?
A: Zwischen einer Urlandschaft und dem, was wir heute als Landschaft empfinden, liegen Dimensionen, die uns fast daran hindern, noch von "Natur" zusprechen. Aber es gibt ja doch weiterhin Natur, auch wenn sie sich mittlerweile so stark verändert hat - der einzelne Baum bleibt ein Baum, auch wenn viele Arten aussterben oder schon ausgestorben sind. Mich interessiert einfach die Tatsache, daß es diesen Baum gibt, neben mir, selbst wenn er in Gefahr ist. Nun kann man natürlich sagen: Alles ist in Gefahr und deshalb äußert man sich über die Gefahr. Aber das tun inzwischen alle. Und ich befürchte jetzt, daß eine Gefahr möglicherweise potenziert wird, wenn man sie ständig beschwört. Natürlich wäre es naiv, jetzt ein heiles Weltbild entwerfen zu wollen. Aber ich meine, daß sich die Welt, auch die der Kunst und der Literatur, von ständigen Destruktions-Beschwörungen einmal wieder erholen muß. Ich entdecke da Zusammenhänge: Wenn der Künstler in seinem Bild, fast manisch, an die Grenzen des Vorstellbaren und Möglichen geht, dann tun das möglicherweise auch alle anderen um uns herum. Und dann ist das keine Mahnung mehr, sondern eigentlich nur noch mangelnde Sensibilität.
TD: Läßt sich das Menschenbild von, zum Beispiel, Francis Bacon als Zerstörungsbeschwörung definieren?
A: Das Menschenbild von Bacon, so wie er es sich offenbar nur noch vorstellenkann, hat sicherlich mit dem Leben des zwanzigsten Jahrhunderts zu tun, kann aber auch sehr viel mit Bacons eigener Vorstellungswelt, mit seinem persönlichen Leben zu tun haben. Wenn nun gefordert wird, daß diese Darstellungsweise zum allgemeinen Stil gemacht werden soll, daß man also das Gesicht nur noch lädiert zeigen darf, dann beziehe ich eine Gegenposition: Da ich die Welt jedenfalls noch einigermaßen erträglich finde, sonst hätte ich mir ja längst das Leben genommen, habe ich gewissermaßen die Verpflichtung, das Gegenteil von ihm zu tun, ohne ihn deshalb bekämpfen zu wollen- wir leben ja ein Stückchen gemeinsam, er macht dies, und ich mache etwas entschieden anderes.
TD: Diese Gegenposition beruht also nicht auf einer zu optimistischen Weltsicht und dem resignierten Rückgriff auf etwas idealisiertes Vergangenes -
A: Nein; ich will mich aber aus der allgemeinen tatenlosen Traurigkeit, zum Teil auch Hysterie, heraushalten, weil ich sehe: Je mehr der allgemeine Weltzustand beklagt und je lauter allgemein getrauert wird, desto schneller wird die Traurigkeit überwunden, aber der Zustand trotzdem nicht verbessert. Wir gehen an Orte, von denen wir wissen: Hier haben früher einmal Bäume gestanden, jetzt sind da nur noch Steine und ein paar Disteln, und die Schafe laufen darüber. Mit diesem veränderten Bild finden wir uns ab - und finden es sogar schön. Und dieser Aspekt, daß es eigentlich kein Ende gibt, daß die Welt nicht daran denkt, übermorgen für immer aufzuhören - es ist ja nur unsere Angst, die das immer behauptet, und natürlich auch nicht ganz grundlos, wenn man sieht, wieviel wir auf Kosten der Welt tun - dieser Aspekt ist nicht bloß eine Hoffnung, er ist eine Tatsache. Und mit dieser Tatsache beschäftige ich mich in meinen Bildern. Und deshalb möchte ich genau das Gegenteil von dem beschwören, was alle anderen beschwören. Ich vertraue auf die Kraft von Vorstellungen.
TD: Von Picasso ist der Ausspruch überliefert, den er als junger Mann getan habensoll: Ich werde jetzt Bilder malen, die die Bürger in ihren Grundfesten erschüttern werden - was er ja auch getan hat. Kann man über ähnliche Schocks heute noch vergleichbare Wirkungen erzielen?
A: Um eine ähnlich fundamentale Wirkung zu erzeugen, müßte man heute eigentlich genau das Gegenteil machen. Von dem, was Picasso damals verursacht hat, ist ja heute kein Schock mehr übriggeblieben. Picasso ist mittlerweile akademisch, die Brüche und all das, was damals eine Riesentat war, ist heute wie selbstverständlich zu den Akten gelegt. Und das, obwohl er die Menschen damals in ihren Vorstellungen von sich selber derart beleidigt hatte. Heute kann man mit solchen Mitteln niemanden mehr schockieren. Also sind auch die Mittel des Schocks immer drastischer geworden. Jetzt, am Ende des Jahrhunderts, kommt es mir vor, als wolle jeder jeden erschrecken, aber niemand erschrickt mehr wirklich, denn jeder weiß: Es ist nur noch das Ritual des Erschreckens. Ich glaube nicht mehr an den Schock. Ich glaube nicht mehr, daß durch Schock noch Kreativität entsteht.
TD: Was bedeutet diese Einsicht für einen Maler - engt sie ein oder öffnet sie eher den Weg zur eigenen Ausdrucksform?
A: Ich weiß, obwohl ich ja Fachmann bin, eigentlich gar nicht, was "Malerei" ist. Meine eigene Malerei benutze ich ausschließlich dazu, um irgendetwas zu verdeutlichen, auch mir selbst gegenüber. Dabei interessiert mich überhaupt nicht, welcher Stil im Augenblick dominiert. Mein Handwerk ist ein Transportmittel - die Malerei muß ich mir dann selbst entwickeln. Ich wehre mich gegen Diktate. Früher verlangte man vom Kunstwerk Schönheit, Erhabenheit und ähnliches; später wollte man das Gegenteil, auch das ist ein Diktat. Und es gibt sehr viele Künstler, die behaupten, das und das "könne man heute nicht mehr machen". Dazu kann ich eine persönliche Geschichte erzählen. Im Sommer1972 war ich einige Zeit in Florenz und machte an einem Wochenende mit Kollegen einen Ausflug in die Berge. Wir stiegen aus dem Auto und standen nun also in der toskanischen Landschaft, mit den Zypressen, den Olivenbäumen, den alten Häusern - alles Harmonie, für uns. Die Sonne ging unter, bald konnte man sie nicht mehr sehen, sie strahlte nun ganz schräg die Landschaft an, die Schatten wurden länger, man ahnte schon die Nacht, und es war doch immer noch Tag. Da standen wir nun, mit unserem Bewusstsein, und sahen dieses dramatische Schauspiel, und plötzlich sagte einer von uns: "Es ist doch schade, daß man das nicht mehr malen kann." Das war ein Schlüsselwort, das ich schon kenne, seitdem ich versuche, Maler zu sein. Und das sagte ich, aus reiner Keckheit, zu dem Kollegen: "Warum eigentlich nicht? Man kann alles." Erst nachdem ich das gesagt hatte, fiel mir auf, daß es sich tatsächlich so verhielt, wie ich es zunächst nur als Provokation gesagt hatte. Wer will mir verbieten, einen Sonnenuntergang zu malen? Ich merkte, wie reduziert wir bereits in unseren Empfindungen waren: Wir können uns keinen Sonnenuntergang mehr unbefangen ansehen, weil wir ja in die Gefahr kommen könnten, ihn möglicherweise einmal zu malen - und das ist verpönt. An dem Tage habe ich mich wohl aus dem gemeinsamen Gefühlserlebnis herausgezogen. Als ich dem Kollegen, aus Oppositionslust, diese Antwort gab, habe ich sie mir eigentlich selbst gegeben.
TD: Ist dieser Oppositionsgeist mit dem zu vergleichen, der die Bilder bestimmte, die vor 1972 entstanden, zum Beispiel die ironische Darstellung von fettleibigen, selbstgefälligen Urlaubern am Strand?
A: Diese damalige Opposition war einfacher - ich befand mich damit ja unter sehr zahlreichen Gleichgesinnten. Und außerdem gab es in der Hinsicht eine Tradition. Es war ja nicht so schwierig, durch diese Brille zu sehen, nachdem man Dix und Grosz kennengelernt hatte. Ich malte also vier fette Urlauber, die ihre Situation für das Glück hielten, während ich darüber das Gegenteil dachte.
TD: Wenn aus der damaligen Oppositions-Konformität eine individuelle Oppositionshaltung geworden ist, die eher als Versuch eines Ausgleichs zu verstehen ist - wie würden heute die vier Urlauber aussehen?
A: Heute würde ich keine gesellschaftliche Situation darstellen, keine vier Urlauber am Strand. Ich würde vielmehr vier Menschen malen und versuchen, das Wasser darzustellen, den Wind. Der Zustand, daß jemand da sitzt und wie er das tut, interessiert mich heute viel mehr als die Frage, ob er auch ein bestimmtes Bade-Öl bei sich hat, das einen bestimmten Lebensstandard andeutet. Das heißt, ich will nicht mehr anderen klarmachen, wie sie zu denken oder zu fühlen haben. Ich stelle Menschen in der freien Natur dar, zum Beispiel an der natürlichen Grenze zwischen Wasser und Land, keine Urlauber, keine Typen.
TD: Ist dieser Verzicht auf gesellschaftliche Belehrung ein Anpassungsprozeß, der mit dem Alter zu tun hat?
A: Mit dem Alter hat das ganz sicher zu tun, denn was mich mit 25 Jahren aufgeregt hat, regt mich heute kaum noch auf. Ich merke, daß ich mich heute leichter in diese Welt einordne. Andererseits bin ich heute mindestens ebenso kritisch gegenüber einer allgemein herrschenden Meinung wie früher, und gegen jede Art von Diktat übe ich Opposition. Ich verlasse mich bei allem stark auf mein Gefühl - was allerdings natürlich auch die Möglichkeit des Scheiterns einschließt. Einerseits empfinde ich eine starke Befriedigung bei diesem Alleinsein, andererseits bin ich oft auch voller Angst, daß ich das, was ich tue, nicht richtig tue. Das, was ich machen will, könnte man als fundamentale Malerei bezeichnen. Neben der Ganzheitlichkeit, um die ich mich bemühe, interessiert mich besonders auch die Gleichzeitigkeit, die ich ständig wahrnehme: Da liegt zum Beispiel ein uralter Stein, und über mir höre ich ein Flugzeug, und ich stelle mir vor, daß darin ein Mensch sitzt, der vielleichtgerade alte Steine für einen Hausbau aufgestapelt hat - das auszudrücken und dabei die totale Ruhe gegen die dauernde Bewegung setzen, von der wir .umgeben sind. Diese Ruhe finden wir ja nicht mehr in der Natur, sondern sie kann nur noch in gemalten Bildern gesehen werden. Und das ist, glaube ich, die neue Chance der Kunst. Der Maler schafft eine künstliche Wirklichkeit parallel zum "realen" Leben, und daran orientieren wir uns letzten Endes.

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Die Kraft der Bilder (Lucie Schauer, 1981)

Um über Hermann Alberts Arbeiten etwas Definitives sagen zu können, muß man sich darüber im klaren sein, daß sein bisheriges Werk eine eigentümliche Entwicklungskurve aufzeichnet. Ihr sichtbarer Beginn und ihr vorläufiger Endpunkt differieren zwar stark im Stilistischen, haben aber durchaus gemeinsame Berührungspunkte im Inhaltlichen. Man darf wohl davon ausgehen, daß der unterschwellige Motor der Albertschen Kunst unverändert wirksam ist und bleibt, während seine Auffassung von Kunst und Ästhetik - und natürlich auch sein Können als Maler sich in hohem Grad gewandelt haben.

Der eine Pol, sozusagen das Antriebsaggregat seiner Bilder, ist ein erotisches Moment, dem verschiedene Auffassungen von Malerei in ganz verschiedenen Schaffensphasen korrespondieren, wobei im übrigen auch die Ansicht über den Gegenstand selbst sich wandelt. Ein ganz einfaches Indiz dafür ist schon einmal die Tatsache, daß die frühen Figuren anonym bleiben, während die späteren immer mehr individuelle Züge annehmen, bis sie in Porträtähnlichkeit, beziehungsweise das Porträt einmünden. Eine blonde Kokotte vor dem Spiegel im Schummerlicht verkörpert einen Typ und betont mit allen Reizattributen, einschließlich ihrer Umgebung, das Typologische, zugleich das Austauschbare. Das sind die Ausgangsstationen der Albertschen Kunst; sie tragen die Kennzeichen der Übertreibung und Pointierung auf einen Gedanken hin. Zu den Einzelnuditäten gesellen sich die Urlaubergruppen am Strand und die Gruppenszenen im Swimmingpool, nackt auch im übertragenen Sinn, ausgezogen bis auf ihren stupiden Geist und die stumpfe Seele.

Da die Ausstellung erst an einem späteren Zeitpunkt einsetzt, möchte ich diese Phase, die ohnehin keine nachhaltige Rolle im Gesamtwerk spielt, nur kurz streifen. Immerhin haben diese Bilder Albert einmal in die Nähe des Berliner Kritischen Realismus gerückt. Ihr lapidarer und pauschaler Sarkasmus machte ihren Urheber weithin bekannt, und man erwartete weitere Entblößungsszenen von ihm; in welcher Hinsicht auch immer. Albert antwortete stattdessen mit Naturmythen. Ein heftiger Sprung ins Abseits, wie es vielleicht zunächst schien. In Wahrheit aber ein entscheidender Schritt zur Selbstfindung.

1974 entstand der Zyklus "Vier Jahreszeiten". Ein erstaunliches Werk in jeder Hinsicht. In der ländlichen Umgebung Braunschweigs, die Albert mit der Übersiedlung aus Berlin nach dort näherrückte, taten sich für seinen Wirklichkeitssinn neue Aspekte auf. Wechselbeziehungen von Umfeld, Lebensraum, Innensicht und künstlerischer Aussage wurden ganz plötzlich und auf eine neue Weise evident. Die Leitmotive Sex und Striptease, Spießbürgergesellschaft und Urlauberfreuden, die Albert aus der Großstadt mitgebracht hatte, verblaßten in ihren pervertierten Attitüden vor einer neu aufbrechenden und durchdringenden Kraft. Da steht ein Bauer, im Frühling, vor seinem Saatfeld, ein anderer prüft das sommerlich gereifte Korn mit seinen groben Händen, dem Herbst bleibt nur die abgeerntete Scholle und dem Winter die Jagd mit der Flinte und der Tod des Hasen. Sinnbilder des Lebenszyklus, die so einfach und so unverstellt kein anderer deutscher Gegenwartsmaler auf die Leinwand gebracht hat (und gebracht hätte). Wieland Schmied gab dem dazu entstandenen Zeichnungen-Zyklus einen besonderen Platz auf der Dokumenta 1977.

Seit Max Beckmann, und hinter dieser Behauptung möchte ich mit Nachdruck stehen, ist nicht mehr mit einer so zupackenden Leidenschaft auf der Bildfläche hantiert worden. Hermann Alberts Gleichnisse freilich sind weniger mythisch verschlüsselt. Sie erschließen sich eigentlich schon im Betrachten, und genau das hat es ihnen paradoxerweise so schwer gemacht, verstanden zu werden. Nach den Abenteuern der ungegenständlichen Kunst in fünf vorangegangenen Jahrzehnten gestand man einem wiedererwachten Realismus im Prinzip nur bestimmte Funktionen unter bestimmten Bedingungen zu: Sozialkritik an der Gesellschaft, Umweltkritik, etwa durch die Künstler der "Neuen Landschaft“, Zeitkritik an politischen Mißhelligkeiten, Malerei mit ironischer Distanzierung vom Gegenstand oder, umgekehrt, totaler Identifizierung mit dem Gegenstand wie im Superrealismus noch mit eingeschlossen.

Aber, was heißt schon Realismus. "Als guter Realist muß ich alles erfinden", diesen Satz von Uwe M. Schneede (zitiert nach Colville) noch im Ohr, wird vielleicht andeutungsweise klar, wie müßig es ist, mit solchen Begriffsbestimmungen arbeiten zu wollen, wo es um so oder so geartete Wirklichkeitsdefinitionen geht. Daß ein Maler der jüngeren Generation hergeht und Bilder von so lapidarem Aussagesinn, ohne eine Zweckbestimmung, vor uns hinstellt, zeugt von Einzelgängertum par excellence. Wie schon in Alberts früheren Berliner Arbeiten wird auch hier Typisches, beziehungsweise Typologisches ausgedrückt, nur daß dieses nicht mehr ein Klischee variiert, sondern einen individuellen Mythos, der in der Kraft der Erdverbundenheit und der Sinnlichkeit wurzelt.

Daraus sind die vielen in jener Zeit entstandenen Bauern-Darstellungen, die Akte und Paare im Wald oder im Innenraum, die Männer- und Mädchenbilder abzuleiten, bis mit längeren Aufenthalten im Süden, bedingt durch einen Hauskauf in Italien, neue Themen vorherrschend werden. Obschon sich für diesen Zeitabschnitt, etwa zwischen 1973 und 1978, immer wieder bestimmte Namen mit unterschwelliger Beharrlichkeit aufdrängen möchten, wie zum Beispiel Otto Dix oder gar Georg Grosz, obschon man versucht ist, wechselweise an den Spätimpressionismus Bonnards (bei einigen Pastellen), an die Deformationen und Verkürzungen der Expressionisten oder an die stillen Landschaftsszenerien der Neuen Sachlichkeit zu denken, bleiben solche Assoziationen bestenfalls Gedankensplitter. Sie treffen nie den Kern.

Hermann Albert malt mit völlig anderen Stilmitteln als den zu erwartenden, wenn man an die genannten Themen denkt. Den Landschaften eignet etwas Erstarrtes mit kunstloser Tiefenperspektive. Die Figuren werden weniger modelliert, als durch einzelne Fleckenfelder aufgebaut. Ihre Umrisse sind hölzern, grobschlächtig, ihre Bewegungen ungelenk, ihre Gesichter kantig. Die weiblichen Akte erscheinen meist merkwürdig plump; es mangelt ihnen an Flüssigkeit der Linie wie überhaupt an Schönheit der Gestalt, soweit man einen landläufigen Schönheitsmaßstab anlegen würde, "Adam und Eva II" von 1974 wirken, wie so manches andere der Liebespaare, in ihren Proportionen unstimmig, auch in Bezug zueinander. In der Pastellzeichnung "Liebespaar II" von 1975 umgreift die linke Hand des Mannes mit einem Prankenhieb den ganzen Oberarm des Mädchens und die Rechte eine ganze Hüfte.

Die Abwesenheit ästhetischer Normative, die bewußten Deformierungen, wie auch insbesondere die starre Ausdruckslosigkeit der Gesichter prägen den Stil jener Zeit als den einer L'Art brut im Gewand einer ländlich-naturmythischen Sehnsuchtsallegorie. Es sind genauer betrachtet nicht die Impressionisten und auch nicht die Expressionisten, die von ferne herüberwinken, sondern die Botschaft Gauguins und sein Streben nach der Rückkehr zu den Ursprüngen des Mythischen, seine Zivilisationsflucht. Werner Haftmann zitiert in seinem Buch über die Malerei des 20. Jahrhunderts Gauguins auch gegen das Ästhetische gerichteten Satz "Der grobe Irrtum ist das Griechische, so schön es sein mag“. Unter den Arbeiten Alberts fällt in diesem Zusammenhang ganz besonders ein Bild von 1976 auf, "Zwei Mädchen im Grünen", die auf dem Waldboden kauernd, dem Betrachter zugewandt, dennoch träumerisch in eine imaginäre Ferne zu blicken scheinen. Tahiti in Mitteleuropa.

Albert ging und geht es vor allem um die Probleme der Malerei und des Malerischen auf dem Hintergrund des persönlichen Erlebnis- und Erfahrungsumfelds, das letztlich auch seine Themen bestimmt. Aus der Spannung zwischen diesen beiden Komponenten erwächst sein weniger durch Vorbilder als durch einen starken Eigenwillen gesteuerter und geformter Stil. Susan Sontag hat in ihrem Essay "Über den Stil" (enth. in "Kunst und Antikunst", Carl Hanser Verlag, 1980) dem Willen und Wollen des Künstlers eine außerordentlich wichtige Rolle beigemessen. Sie folgert weiter: "Alle Kunstwerke basieren auf einer gewissen Distanz zu der erlebten Wirklichkeit, die in ihnen dargestellt wird. … Grad und Handhabung dieser Distanz, die Konventionen der Distanz sind es, die den Stil des Werkes ausmachen. Letztlich ist ‚Stil‘ identisch mit Kunst. Und Kunstwerke sind nicht mehr und nicht weniger als verschiedene Weisen der stilisierten, enthumanisierten Darstellung."

Allerdings ändert sich umgekehrt der Stil auch mit einer verändert erlebten Wirklichkeit. Hermann Alberts Wendung nach dem Süden brachte neue Einflüsse und Motive in seine Arbeit, und damit entstanden auch andere Ausdrucksweisen. Nach eigener Aussage wurden für Albert Maler wie Chirico und Carrà bedeutsam. Weniger wohl ihrer "metaphysischen" Aspekte als vielmehr ihrer ruhigen, abgeklärten Malweise wegen, die sich der Gegenstände und Figuren im harten Licht des Mezzogiorno bemächtigt. Drei Hommagen, direkte und versteckte, weisen den Weg zum Verständnis.

Da ist einmal die Huldigung an Chirico mit dem Bild "Die beunruhigende Muse" (1981), die ihren Titel unmittelbar von Chiricos "Beunruhigenden Musen" herleitet. Ein zweigeteiltes Interieur, links das Aktmodell einer jugendlichen Schönen vor einem Kaminsims, rechts hinter glutrot niederfallendem Vorhang der Schattenriß Chiricos an der Staffelei, den Blick auf das Modell gerichtet. Gleichzeitig umfaßt das Bild einige der wesentlichen Merkmale der jüngsten Werkphase: Der Innenraum, aufgeteilt in geometrische Führungslinien, allein schon durch den Fliesenboden, die harte und stark kontrastierende Farbigkeit, sowie die Betonung der Perspektive.

In fast allen Arbeiten, wobei die Zeichnungen und Pastelle jetzt zugunsten der Temperabilder zurückgehen, tauchen nun komplizierte Überschneidungen von geöffneten Fenstern, Fußböden, Türen, Terrassenaustritten, Spiegeln, Vorhängen und Einrichtungsgegenständen auf. Wiederum erscheint mir ein Bild als programmatisch im Blickfeld: Vor einer halb geöffneten Balkontür, die einen weit hinschweifenden Blick auf eine Zypressenlandschaft und das Mittelmeer im Hintergrund erlaubt, erscheint in gigantischer Größe Michelangelos "David"; halbverdeckt von der Tür, abgeschnitten vom oberen Bildrand, bildbeherrschend jedoch wie eine alles überschattende Traum-Gestalt. Eine Hommage ganz zweifellos an die Renaissance und ihre fundamentale Bedeutung für die Geschichte der Kunst der Neuzeit.

Der indirekten Huldigung an Chirico und der versteckten an die Renaissance tritt eine dritte, direkte Ehrung an die Seite, nämlich für die Frau, das weibliche Wesen als Urphänomen, als Verlockung und Verkörperung des Eros schlechthin. In "Huldigung an M." gewinnt dieser Gedanke faszinierend Gestalt. Wiederum vor einem theatralisch rotwallenden Vorhang geht die Frau nach rechts aus dem Bild, mit hocherhobenen Armen, um ihre Haare zu richten. Von links her betritt der Mann die Szene, bekleidet im Gegensatz zu der nun noch stärker als nackt erscheinenden Frau, den Blick wie von magischen Kräften angezogen auf ihren üppigen Körper geheftet. Albert hat ihm ungeniert die eigenen Züge verliehen; ein ungewöhnliches Selbstporträt.

Denn stets ist es ja die eigene Geschichte, die der Maler ins Bild bringt. Die Antriebsfeder, die unterschwellig die Bilderfolgen und ihre verschiedenen Stationen begleitet, Sex und Erotik, hat mancherlei Sublimierungen erfahren. Geblieben ist eine fast dämonisch zu nennende sinnliche Ausstrahlungskraft der Bildthemen und ihrer Gestaltung. Dem Mann fallen in dieser stark dualistischen Weitsicht verschiedene Rollen zu. Er ist Voyeur und Jäger, er ist mitunter auch Beschützer oder gar geistiger Mentor (siehe Chirico), immer aber ist er der Gegenpol, das Alter ego, und sei es auch nur - oder gerade - als Schatten, wie er so oft im späteren Werk auftaucht. Albert hat den Mut, diese Urgegebenheiten ganz unverhohlen auszusprechen. Und noch einmal Susan Sontag: "Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst."

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wahr-nehmung, ganz auf mich bezogen (Klaus Thiele-Dohrmann, 1981)

was ich sehe: eine mädchenfrau, die mit sich selbst beschäftigt ist. und ein mann, der sie dabei beobachtet. männer, die, im verborgenen, frauen betrachten. und frauen, die diese betrachtung gewohnt sind.
die männer stehen oder sitzen hinter türen oder vorhängen. die frauen stehen, nackt und frei, auf steinen oder holz, in räumen mit offenen fenstern und türen, durch die starkes licht fällt.
die männer sind bekleidet; angezogen von den frauen. aber mann und frau berühren einander nicht. der einzige sichtbare kontakt geschieht durch die augen des mannes.

was ich empfinde: italienische nachmittage, steinfußböden bei hitze, toskanische zypressen und die pinien von rom, müdigkeit von wein und sonne, melancholie und die freuden einer seltsamen stunde, scheu, vorsieht, respekt, distanz und die stille vor einem immer noch aufgeschobenen dialog.

was ich denke: sie weiß, daß sie sich ungeschützt aussetzen kann. sie vertraut, in den warmen räumen, sich und ihrer umgebung. sie dominiert durch selbst-bewußtsein. und diese domina beherrscht, auch wenn sie abgewandt wirkt, den stummen diener, den korrekt gekleideten schattenriß, den kraftprotz, den schüchternen bauernburschen, den mann.
er weiß es nicht. sein schutzanzug verhindert das erkennen.
erst die abgeklärte sicht des alten malers, jenseits vom sogenannten gut und böse, läßt die erotische spannung vergessen, gibt hilfe in gestalt einer neuen rolle: der mit dem berufsmäßig prüfenden Blick, der die mädchenfrau nicht als freundin, sondern als modell sieht, den körper als material betrachtet, die architektur einschätzt. auch eine fluchthilfe.

wenn nun der mann der maler und der maler de chirico wäre, dann wäre nicht der mann, der aus dem verborgenen die frau beobachtet, der voyeur, sondern ich, der ich aus dem verborgenen den seelenzustand des mannes beobachte.
aber das hätte der maler dann wohl so gewollt.

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